Licht an gegen Corona!?
Wir leben in düsteren Zeiten. Seien wir ehrlich, das Jahr hat schon nicht gut angefangen. Buschfeuer in Australien, Säbelrasseln im Nahen Osten. Dann Nachrichten über ein Virus in China, das jetzt die ganze Welt in Atem hält. Zusammen mit den ganzen üblichen Sorgen ist es kein Wunder, wenn wir betrübt sind. Wir alle brauchen Aufmunterung.
Für manche liegt die Lösung nahe: Dunkle Gedanken vertreiben wir mit Licht! Und so scheint es der richtige Zeitpunkt für renommierte wie selbst-ernannte Lichtkünstler zu sein, die Nächte mit Lichtinstallationen zu erhellen.
Anmerkung: Leider ist es mir aus Copyright-Gründen nicht möglich, Bilder von den besprochenen Installationen zu zeigen. Diese sind aber unter den entsprechenden Links zu finden.
Manche dieser Ereignisse haben eine Vorgeschichte. So beispielsweise Savage Beauty, ein Werk des finnischen Künstlers Kari Kola in Connemara. Ursprünglich war es als Teil von Galway 2020 geplant und sollte vom 14. bis 17. März mit 1.000 Lichtern über eine Strecke von fünf Kilometern die Berge in Connemara erleuchten. Doch die Lichtinstallation musste aufgrund von Covid-19 ohne Live-Publikum stattfinden. Die Enttäuschung des Künstlers ist verständlich, doch es fand sich eine Lösung: Ein kurzer Film über das Kunstwerk ist im Internet zu sehen und kann dort bei Bedarf Trost spenden.
Zugegeben, Savage Beauty ist ein beeindruckendes Werk und setzt die Hügel Connemaras in Szene. Das Ganze spielt sich unter Wolken ab, wodurch die Lichteffekte noch faszinierender werden. Doch leider hat es seinen ursprünglichen Sinn verfehlt, denn Savage Beauty sollte die Probleme von Klimawandel und -schutz deutlich machen. Ob dafür die Erhellung einer fünf Kilometer langen Küstenlinie das richtige Medium ist, ist allerdings fraglich. Zumal das Licht noch aus 50 Kilometer Entfernung zu sehen war. Man kann sich leicht vorstellen, wie viel natürliches Nachtleben hier gestört wurde, gerade in einem ökologisch so empfindlichen Bereich wie einer Küstenregion.
Das Gute an Savage Beauty ist, dass die Installation nur wenige Nächte zu sehen war. Deutlich länger schon wird nun der Gipfel des Matterhorns beleuchtet – und zwar ganz im Zeichen von Corona. Die Projektionen des Künstlers Gerry Hofstetter sollen Solidarität mit allen Menschen zeigen, die momentan leiden und sind ein Signal des Dankes an alle, die helfen, die Krise zu überstehen. Das Spektakel wird per Webcam übertragen, damit die Leute zuhause bleiben.
Der Gedanke hinter der Lichtinstallation ist wunderschön. Mal kann man das Wort „hope“ lesen, mal erscheint die Flagge der Schweiz. Auch die Flaggen anderer Länder wurden schon projiziert. Ökologisch gesehen richtet das Projekt jedoch einiges an Schaden an, denn die Berge sind Lebensraum für viele, teils bedrohte Arten. Dazu kommt, dass der Strahl der Projektoren weit am Matterhorn vorbeistrahlt und damit großräumig zur Erhellung des Nachthimmels beiträgt.
Mountain Wilderness Schweiz ist wenig begeistert von der Aktion. Die Organisation äußerte sich auf Facebook: „In unseren Augen ist diese Inszenierung vor allem ein unangebrachter Marketing-Stunt. Berge brauchen keine Geschmacksverstärker – auch ohne Beleuchtung wirken sie auf viele Menschen beruhigend und sind Symbole von Stabilität und Beständigkeit.“ Mountain Wilderness Schweiz spricht sich schon länger gegen Anstrahlungen in den Bergen aus und fordert, „die natürliche Nachtdunkelheit unbedingt zu bewahren„.
Lichtzeichen für Solidarität gibt es auch in Städten, so beispielsweise in Osnabrück, wo ein Laserschriftzug eine Gebäudefassade erhellt. Die flackernde Schrift fordert die Bürger dazu auf, Abstand zu halten und zu Hause zu blieben. In anderen Städten werden Gebäude und Bäume mit demselben Gedanken beleuchtet. Die Städte wollen ihren Bürgern Mut machen.
Eins ist klar: Wir brauchen gerade Aktionen, die unser Gemüt aufhellen. Und zur Zeit gibt es eine Vielzahl phantasievoller Ideen. Tenöre, die vom Balkon aus singen, Videos von Tänzerinnen und Tänzern der Opera Nationale de Paris, die zu Hause tanzen, DJs, die kostenlos eine Club-Session streamen, Kinder, die bemalte Steine an besondere Punkte legen und Regenbogenbilder ins Fenster hängen. Dinge, die uns ein Lächeln in den Alltag zaubern, und das ist zur Zeit unermesslich wichtig. Und auch, wenn manche Dinge mich nicht so stark persönlich ansprechen, weil sie vielleicht nicht meine Form von Kunst oder Motivation sind, sie schaden auch nicht.
Lichtinstallationen sind da anders, denn sie richten Schaden an. Die momentane Anspannung sollte kein Grund sein, unsere Umwelt unnötig zu belasten. Lichtinstallationen gehören nicht in den Naturraum, zumal manche von ihnen schon für uns Menschen über Kilometer zu sehen sind – wie viel weiter sind sie für lichtempfindliche Tiere sichtbar? Und auch im Stadtraum sollten wir zurückhaltend sein. Wir befinden uns mitten in der Vogelzugzeit und beleuchtete Hochhäuser sind eine Todesfalle für Zugvögel. Das Licht stört aber auch eine andere Spezies, die gerade jede Hilfe braucht, um gesund zu bleiben: uns Menschen. Lichtinstallationen können den Schlaf stören, und ein gesunder Schlaf ist eine der besten Waffen, die unser Immunsystem gegen Erreger aufzubieten hat. Wir sollten in Zeiten von Corona unsere Nächte also eher dunkler gestalten, damit wir einen erholsamen Schlaf finden.
Für Projekte wie das Matterhorn sollte es ein Minimum an Rücksichtnahme auf den Lebensraum Nacht geben: das Gobo-System. Goboprojektoren sind mit einer Schablone ausgestattet, die das Licht zielgenau auf die zu beleuchtende Fläche beschränkt wird. Somit strahlt nichts vorbei und die Erhellung der Nacht wird geringer. Goboprojektoren werden inzwischen bei einer Vielzahl von Gebäuden eingesetzt, ohne dass die Installation geschmälert wird. Für ein ökologisch so kritisches Projekt wie das Matterhorn sollte dies eine Selbstverständlichkeit sein, doch statt dessen strahlen die mächtigen Scheinwerfer in den Nachthimmel. Auf der anderen Seite würden Menschen, denen die ökologischen Schäden einer solchen Anstrahlung bewusst sind, gar nicht erst auf die Idee kommen, eine prominente Bergspitze anzustrahlen, sondern andere Wege finden, ihren Mitmenschen Mut zu machen.
Trotz aller aktuellen Sorge um Corona sollten wir nicht vergessen, dass unsere Umweltprobleme nicht plötzlich verschwunden, sie werden uns in den nächsten Jahren weiterhin begleiten und, wenn diese Pandemie vorbei ist, werden wir möglicherweise mit noch größeren Schäden konfrontiert sein. Einige Regierungen nutzen die Chance, Umweltgesetze zu ignorieren oder sogar außer Kraft zu setzen. Wissenschaftler aus unterschiedlichsten Disziplinen, so wie beispielsweise die Mitglieder der Leopoldina rufen jetzt dazu auf, nach der Krise eine nachhaltigere Lebensweise einzuschlagen. Diese Krise könnte unsere Chance sein, grundlegende Änderungen zu realisieren. Warum bis nach der Krise warten? Warum beginnen wir nicht jetzt mit einem nachhaltigeren Umgang mit Licht, in dem wir nicht auf größer, heller, grellen setzen sondern auf anspruchsvoll und umweltbewusst?
Das heißt nicht, dass wir auf Lichtkunst verzichten müssen. Ein Licht in der Dunkelheit ist ein Symbol der Hoffnung und Hoffnung ist ebenso unverzichtbar zum Gesundbleiben. Eine Vielzahl von Lichtkünstlern hat in der Vergangenheit gezeigt, dass Lichtinstallationen mit wenig Licht die Menschen tief berühren können.
Das für mich bewegendste Lichtkunstwerk ist Beyond the Deepening Shadow: The Tower Remembers, eine Installation des Designers Tom Piper und der Musikkünstlerin Mira Calix zum Hundertsten Jahrestags des Endes des Ersten Weltkriegs: 10.000 brennende Kerzen umringten den Tower von London. Diese Bilder begleiten mich seit zwei Jahren. Für mich symbolisiert jede Kerze ein Menschenleben, empfindlich und vergänglich. Alle Lichter zusammen bringen Licht in das Dunkel und geben Hoffnung. Wir sind viele, aber wir sind eine Einheit, und gemeinsam schaffen wir es durch die dunkelsten Momente der Menschheit.
Die Coronakrise ist nicht vergleichbar mit dem Horror der Weltkriege und ist bei weitem nicht so dunkel. Viele sehen sie auch als Chance, einzuhalten und darüber nachzudenken, was wirklich zählt in unserem Leben. Andere kämpfen täglich darum, die Belastung des Alltags in einer eingeschränkten Lebenswelt zu bewältigen. Erstere freuen sich über die Entschleunigung, die der Virus ihnen gebracht hat, andere sehnen sich nach weniger Tempo im Chaos von Home-Office, Kinderbetreuung, Überlebensbemühungen und schierer Angst vor einer Infektion. Vielleicht sollten wir statt heller, schneller, greller auch in der Lichtkunst jetzt Besinnung finden und auf mehr Entschleunigung setzen. Das würde zu denen passen, die genau diese Entschleunigung jetzt genießen und denen, die im Stress unterzugehen drohen, etwas mehr Ruhe bringen. Für eine wäre es in jedem Fall eine Entlastung: für die Umwelt.