Künstliches Licht in der Nordsee

Künstliches Licht in der Nordsee

Ich stehe auf dem Deich und friere. Über mir die Milchstraße, vor mir die Nordsee. Der Wind pfeift. Ich beobachte Andreas Hänel, wie er seine Licht-Messgeräte aufstellt. Am Horizont sehe ich die Lichter der ostfriesischen Inseln – und ein ziemlich helles Licht. „Andreas, ist das da eine Insel?“ „Nein, dass ist offenes Meer. Wahrscheinlich ein Fischerboot.“ Etwas später sehen wir das Boot näher kommen. Es ist extrem hell erleuchtet, damit die Fischer besser arbeiten können und um mehr Fische anzuziehen.

Falschfarbenkarte der Helligkeiten im Bereich des Nationalparks Wattenmeer
Lichtemissionen in der Nordsee und in Wattenmeer. Karte von lightpollutionmap.info, basierend auf den VIIRS Daten für 2015, World Atas of Light Pollution, Falchi et al. 2016

Später an meinen warmen Schreibtisch in Berlin schaue ich mir die Karte auf lightpollutionmap.info an. Dort finde ich einige überraschend helle Punkte auf der Nordsee. Die meisten davon sind Bohrplattformen, doch auch die Fischerboote und großen Containerschiffe sind hell erleuchtet. Dazu kommen die Blinklichter der Offshore-Windparks. Wirklich dunkel wird es also auch dort draußen nicht. Und das ist ein Problem, das vielen noch gar nicht bewusst ist.

Das Besondere an der Nordsee ist der Gezeitenbereich: Das Wattenmeer ist das größte intakte Wattgebiet der Welt und deshalb auch Welt-Naturerbe. Die beeindruckenden Unterschiede im Wasserstand sind für seine Bewohner eine ziemliche Herausforderung. Sie müssen sich nicht nur nach dem Tag-Nacht-Wechsel richten, sondern auch nach dem halbtägigen Gezeitenwechsel. Dazu kommen die Mondphasen, die die Stärke der Gezeiten beeinflussen. Wattbewohner leben also in einer extrem wechselhaften Umgebung. Zum Glück sind diese Wechsel verlässlich.

Der Rhythmus des Lebens wird gestört

Alle Organismen verfügen über innere Uhren für zirkadiane Tag-Nacht-Rhythmen, im Wattenmeer gibt es aber auch spezielle Monduhren, z.B. damit die Zuckmücke Clunio bei tiefem Wasserstand schlupfbereit ist. Gesteuert werden diese Uhren über Licht, wobei sie empfindlicher sein müssen als die zirkadianen Uhren, denn der Unterschied zwischen Voll- und Neumond ist sehr gering. Geringer auf jeden Fall als der Unterschied zwischen natürlicher Nacht und künstlicher Beleuchtung, der nachweislich bereits die zirkadianen Rhythmen vieler Organismen stört. Und hier sind wir schon beim Problem: Die Wattbewohner geraten aus dem Takt.

Das kann man besonders gut bei den Wattvögeln sehen. Die stochern bei Ebbe unermüdlich nach Schlickwürmern. Einige von ihnen, beispielsweise der Sandregenpfeiffer, sucht seine Beute mit den Augen bevor er seinen Schnabel im Watt versenkt. Da kommt künstliches Licht am Abend gelegen: Verschiedene Regenpfeiffer und Strandläufer nutzen die Beleuchtung für Überstunden (Santos et al. 2010; Dwyer et al. 2013). Für die Wattwürmer bedeutet dass mehr Druck durch Fressfeinde – auf die Dauer keine gute Situation.

Ein Schwarm fliegender Gänse bei Sonnenuntergang über der Küste
Wenn die Sonne über dem Wattenmeer versinkt, beginnt die Ruhezeit für die Wattvögel. Der Luftraum gehört in den nächsten Stunden den Zugvögeln und Fledermäusen. (Foto RENE RAUSCHENBERGER from Pixabay)

Tödliche Falle für Vögel und Fledermäuse

Doch nicht alle Vögel profitieren vom künstlichen Licht. Für Millionen von Vögeln wird es zum tödlichen Verhängnis. Die Nordsee ist eine der Hauptrouten für Zugvögel. Bis zu 12 Millionen Zugvögel fliegen jährlich an der Küste entlang, fast immer nachts. Das helle Licht von Küstenstädten, Schiffen und Bohrtürmen wirkt wie ein Staubsauger auf sie. Die Vögel fliegen kräftezehrende Umwege und kollidieren mit den erleuchteten Strukturen. Allein an den Bohrplattformen sterben jährlich schätzungsweise 6 Millionen Vögel – deutlich mehr als an Windrädern (Ronconi et al. 2015).

Auch anderen nächtliche Reisende werden vom Licht angezogen. Rauhhautfledermäuse sind die häufigsten saisonal wandernden Fledermäuse. Ähnlich wie Vögel fliegen sie auf die künstlichen Lichter zu und kollidieren mit den Bohrtürmen (Voigt et al. 2017; Voigt et al. 2018).

Von lichtscheuem Plankton und Überstunden bei Fischfressern

Großaufnahme von Zooplankton
Mikroskopisch kleines Zooplankton wandert abends über mitunter Hunderte von Metern aus der Tiefsee an die Oberfläche (Christian Sardet/CNRS/Tara expeditions, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Nicht nur in der Luft ist das Licht ein Problem. Jede Nacht steigen aus den Tiefen des Meeres Kleinstlebewesen auf, sogenanntes Zooplankton. Das sind unzählige kleine Krebse, Tintenfische, Quallen, Fische und vieles mehr. Sie kommen im Schutz der Dunkelheit an die Oberfläche, um dort die Algen, das Phytoplankton, abzufressen. Am Morgen sinken sie vollgefressen wieder in die tieferen Schichten. Diese tägliche vertikale Migration geschieht in allen Weltmeeren und ist die größte Wanderung von Biomasse auf unserem Planeten. Sie sichert den Transport von Nahrung in die lichtleeren Tiefen des Ozeans. Zooplankton ist jedoch sehr lichtscheu. Bereits das Licht einer Stirnlampe reicht aus, um es zu verscheuchen und den Nahrungstransport in die Tiefsee zu verhindern (Sameoto et al. 1985; Ludvigsen et al. 2018). Kaum vorstellbar, was die Scheinwerfer einer Bohrplattform anrichten. Die Auswirkungen künstlicher Beleuchtung reichen also sogar in Meerestiefen, in denen das Licht selbst gar nicht ankommt.

Fische reagieren sehr unterschiedlich auf nächtliche Beleuchtung. Eine Studie aus dem Hafen von Sydney zeigte, dass sich das Verhalten von Fischen bei Beleuchtung deutlich änderte: Im Dunklen waren mehr Fische anwesend, im Hellen gab es hingegen deutlich mehr Fressaktivität. Allerdings hatten kleinere Fische auch ein höheres Risiko, selbst gefressen zu werden (Bolton et al. 2017). Übrigens nutzen auch manche Fischfresser das nächtliche Licht. Eigentlich tagaktive Graureiher wurden dabei beobachtet, wie sie eigentlich ebenfalls tagaktive junge Lachse aus dem Wasser fischen. Dabei bekommen sie Konkurrenz von Seehunden, die ebenfalls die künstliche Beleuchtung zum Jagen nutzen (Yurk & Trites 2000).

Die Fortpflanzung von Fischen wird gestört

CLownsfische in einer Anemone
Clownsfische brauchen dunkle Riffe zum Überleben (Foto von Julio Camelo via Pixabay)

Der tägliche Wechsel aus hell und dunkel steuert zudem viele hormonelle Vorgänge. Fische scheinen hier besonders empfindlich zu sein. Bei einigen Arten reicht bereits das Licht des Vollmonds oder die Lichtglocke einer Stadt aus, um die Bildung von Melatonin zu unterdrücken (Grubisic et al. 2019). Die Bildung von Geschlechtshormonen hängt bei vielen marinen Fischen von der Mondphase ab. Hier fehlen noch aussagekräftige Untersuchungen, doch in Küstennähe könnte das helle Licht durchaus in die Fortpflanzung der Fische eingreifen.

Künstliches Licht wirkt sich auch auf Jungfische aus. Der Falsche Clownsfisch (Amphiprion ocellaris) lebt in tropischen Korallenriffen. Sogar dort ist es mitunter recht hell. Zwar entwickeln sich die Eier normal, doch die Jungfische schlüpfen erst, wenn das künstliche Licht abgeschaltet wird – was an vielen Stellen nie mehr geschieht (Fobert et al. 2019). Beim Orangeflossen-Anemonenfisch (Amphiprion chrysopterus) schlüpfen zwar die Jungfische, die nächtliche Beleuchtung senkt aber ihre Überlebenswahrscheinlichkeit (Schligler et al. 2021).

Auch Schnecken brauchen dunkle Nächte

Mehrere Purpurschnecken auf einem Felsen mit Seepocken
Purpurschnecken zwischen ihrer Beute,. den Seepocken (Foto von Martin Talbot, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons)

Sogar Schnecken scheint das Licht zu stören. Obwohl es an beleuchteten Strandabschnitten mehr Algen zum Abweiden gibt, nimmt die Zahl an Kleinen Strandschnecken (Melarhaphe neritoides) erst zu, dann aber ab (Maggi and Benedetti-Cecchi 2018, Maggi et al. 2020). Die Nordische Purpurschnecke (Nucella lapillus), die sich von Muscheln und Seepocken ernährt, frisst mehr, wenn die Felsen beleuchtet werden, sucht aber andererseits seltener Schutz. Forscher vermuten, dass die Purpurschnecken durch das Licht gestresst werden und deshalb mehr Energie verbrauchen, also auch mehr fressen müssen (Underwood et al. 2017).

Künstliches Licht beeinflusst die Organismen des Wattenmeers also in vielerlei Hinsicht und bisher sind nur einige dieser Aspekte erforscht. Mehr Details, auch über die Landbewohner des Nationalparks Wattenmeer, lassen sich im Report on the Influence of Artificial Light at Night des Niederländischen Umweltministeriums nachlesen.

Unsere Beleuchtung könnte nachtschonender werden

Doch es gibt Hoffnung für die Geschöpfe der Nacht. Zur Zeit gibt es vier IDA-zertifizierte Dark Sky Places im Nationalpark Wattenmeer: Boschplaat und Lauwersmeer in den Niederlanden und die deutschen Inseln Pellworm und Spiekeroog. Weitere Regionen, darunter Mando in Dänemark, wollen sich anschließen. Denn Lösungsansätze gibt es bereits.

Die umweltfreundlichste Beleuchtung wäre natürlich gar nicht zu beleuchten. Es gibt eine Vielzahl von Orten, anderen nachts nicht beleuchtet werden müsste, so z.B. an Strandpromenaden, geschlossenen Parkplätzen und in vielen Wohngebieten – was auch den Schlaf der Anwohner verbessern kann. Wo Beleuchtung nötig ist, kann diese umweltschonender gestaltet werden.

Hafenbeleuchtung, die auf das Wasser scheint.
Beleuchtung eines Hafens nach 22:00. Der Zugang zum Hafen ist um diese Zeit verboten. (Foto Annette Krop-Benesch)

Die Energieeffizienz der LED verführt dazu, heller zu beleuchten als nötig. So gibt es keinen Grund, Häfen und Fischerboote nach Feierabend genauso hell zu beleuchten wie zu den Arbeitszeiten. Überraschend für mich war die Helligkeit auf einigen Campingplätzen. Dort schlafen Menschen, die Entspannung suchen, ohne Rollo ist dort aber nicht an Schlaf zu denken.

Licht sollte auch nur dorthin scheinen, wo es gebraucht wird, also z.B. auf die Nutzfläche des Hafens und nicht auf das Wasser oder auf angrenzende Naturschutzgebiete. Auch Straßen- und Wegbeleuchtung sollte vor allem nach oben abgeschirmt sein. Wege können durch niedrige Leuchten sanft erhellt werden, wobei dem Spaziergänger noch der Blick auf die nächtlichen Dünen erlaubt wird.

Insekten, Fledermäuse und Vögel reagieren vor allem auf kaltes, blauhaltiges Licht. Je rötlicher, desto besser für die Natur. Deshalb sollten eine möglichst geringe Kelvinzahl gewählt werden. Bei Vögel zeigt sich auch, dass blinkende Lichter weniger Vögel anziehen als ein konstantes Licht.

Moderne Technik erlaubt den Einsatz von Licht genau dann, wenn es benötigt wird. An Häusern, auf Parkplätzen und in Häfen macht daher der Einsatz von Bewegungsmeldern Sinn. Diese kommen auch vermehrt an Windkraftanlagen zum Einsatz, denn Kollisionen mit Vögel sind häufiger an beleuchteten Anlagen. Radarsysteme schalten das Licht erst ein, wenn sich ein Schiff oder Flugzeug nähert.

Ziel jeder Beleuchtungsplanung sollte es sein, nur so viel Licht zu verwenden wie wirklich nötig. Denn die Dunkelheit der Nacht zu erhellen ist, als würde man die Gezeiten aus der Nordsee nehmen. Sie wäre dann nicht mehr die einzigartige Naturlandschaft, die wir so lieben und ihre Bewohner würden ihren Lebensraum verlieren.

Quellen

Wer mehr wissen möchte, auch über Aspekte, die hier nicht genannt wurden, dem empfehle ich meinen Bericht „Influence of Artificial Light at Night (ALAN) on the Outstanding Universal Values (OUV) of the Wadden Sea World Heritage„, herausgegeben vom Niederländischen Umweltministerium.

Bolton, D., Mayer-Pinto, M., Clark, G. F., Dafforn, K. A., Brassil, W. A., Becker, A., and Johnston, E. L. (2017). Coastal urban lighting has ecological consequences for multiple trophic levels under the sea. Science of the Total Environment 576, 1–9. doi:10.1016/j.scitotenv.2016.10.037

Dwyer, R. G., Bearhop, S., Campbell, H. A., and Bryant, D. M. (2013). Shedding light on light: Benefits of anthropogenic illumination to a nocturnally foraging shorebird. Journal of Animal Ecology 82, 478–485. doi:10.1111/1365-2656.12012

Fobert, E. K., Burke, K., and Swearer, S. E. (2019). Artificial light at night causes reproductive failure in clownfish. Biology Letters 15, 20190272. doi:10.1098/rsbl.2019.0272

Grubisic, M., Haim, A., Bhusal, P., Dominoni, D. M., Gabriel, K. M. A., Jechow, A., Kupprat, F., Lerner, A., Marchant, P., Riley, W., Stebelova, K., Grunsven, R. H. A. Van, Zeman, M., Zubidat, A. E., and Hölker, F. (2019). Light Pollution, Circadian Photoreception, and Melatonin in Vertebrates. Sustainability 11, 1–51. doi:10.3390/su11226400

Ludvigsen, M., Berge, J., Geoffroy, M., Cohen, J. H., De La Torre, P. R., Nornes, S. M., Singh, H., Sørensen, A. J., Daase, M., and Johnsen, G. (2018). Use of an Autonomous Surface Vehicle reveals small-scale diel vertical migrations of zooplankton and susceptibility to light pollution under low solar irradiance. Science Advances 4, eaap9887. doi:10.1126/sciadv.aap9887

Maggi, E., and Benedetti-Cecchi, L. (2018). Trophic compensation stabilizes marine primary producers exposed to artificial light at night. Marine Ecology Progress Series 606, 1–5. doi:10.3354/meps12769

Maggi, E., Bongiorni, L., Fontanini, D., Capocchi, A., Dal Bello, M., Giacomelli, A., and Benedetti-Cecchi, L. (2020). Artificial light at night erases positive interactions across trophic levels. Functional Ecology 34, 694–706. doi:10.1111/1365-2435.13485

Ronconi, R. A., Allard, K. A., and Taylor, P. D. (2015). Bird interactions with offshore oil and gas platforms: Review of impacts and monitoring techniques. Journal of Environmental Management 147, 34–45. doi:10.1016/j.jenvman.2014.07.031

Santos, C. D., Miranda, A. C., Granadeiro, J. P., Lourenço, P. M., Saraiva, S., and Palmeirim, J. M. (2010). Effects of artificial illumination on the nocturnal foraging of waders. Acta Oecologica 36, 166–172. doi:10.1016/j.actao.2009.11.008

Sameoto, D., Cochrane, N. A., and Herman, A. W. (1985). Response of biological acoustic backscattering to ships’ lights. Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences 42, 1535–1543. doi:10.1139/f85-192

Schligler, J., Cortese, D., Beldade, R., Swearer, S. E., Mills, S. C., and Mills, S. C. (2021). Long-term exposure to artificial light at night in the wild decreases survival and growth of a coral reef fish. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 288: 20210454.

Underwood, C. N., Davies, T. W., and Queirós, A. M. (2017). Artificial light at night alters trophic interactions of intertidal invertebrates. Journal of Animal Ecology 86, 781–789. doi:10.1111/1365-2656.12670

Voigt, C. C., Rehnig, K., Lindecke, O., and Pētersons, G. (2018). Migratory bats are attracted by red light but not by warm-white light: Implications for the protection of nocturnal migrants. Ecology and Evolution 8, 9353–9361. doi:10.1002/ece3.4400

Voigt, C. C., Roeleke, M., Marggraf, L., Petersons, G., and Voigt-Heucke, S. L. (2017). Migratory bats respond to artificial green light with positive phototaxis. PLoS ONE 12, 1–11. doi:10.1371/journal.pone.0177748

Yurk, H., and Trites, A. W. (2000). Experimental Attempts to Reduce Predation by Harbor Seals on Out-Migrating Juvenile Salmonids. Transactions of the American Fisheries Society 129, 1360–1366. doi:10.1577/1548-8659(2000)129<1360

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