Meeresschildkröten auf Abwegen

Meeresschildkröten auf Abwegen

Foto von Claudio Giovenzana, www.longwalk.it.

110 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Die Weltmeere werden bewohnt von riesigen Ichthyosauriern, Haien und Krokodilen. Wir befinden uns im Erdzeitalter des Jura, der Blütezeit der Dinosaurier. Und der Zeitpunkt, an dem eine neue Tiergruppe erscheint: die Meeresschildkröten. Während die Dinosaurier vor etwa 66 Millionen Jahren ausstarben oder sich zu den kleineren Vögeln weiterentwickelten, überlebten die Meeresschildkröten und brachten Arten mit einer Länge von bis zu 4 Metern hervor. Ihr Körperbau scheint ein Erfolgsmodell zu sein, denn heutige Meeresschildkröten sehen ihren Vorfahren sehr ähnlich.

frischgeschlüpfte Schildkröte am Strand auf dem Weg zum Ozean
Foto von Kanenori über Pixabay

Ihre Lebensweise wirkt jedoch auf den ersten Blick nicht wie ein Erfolgsmodell. Im Gegenteil, eigentlich ist es ein Wunder, dass es immer noch Meeresschildkröten gibt, denn ihr Lebensweg ist voller Gefahren. Die beginnen bereits im Ei, denn nur aus 80% der Eier, die ein Schildkrötenweibchen in den warmen Sand eines tropischen Strandes legt, schlüpfen junge Schildkröten. Kaum haben diese ihren Kopf aus dem Sand gesteckt, wartet das erste große Rennen auf sie: vorbei an hungrigen Krabben, Möwen, Waschbären und anderen Raubtieren müssen sie das Meer erreichen. Nur die Hälfte der Schildkröten, die das Nest verlässt, erreicht ihr Ziel. Nun heißt es, gegen die mächtige Brandung anzukämpfen, die die kleinen Schwimmer immer wieder zurück an den Strand wirft. Ist die endlich überwunden, wartet bereits eine neue Gruppe hungriger Meeresbewohner auf sie: für Fische, Haie, Delphine und Seevögel sind die kleinen Schildkröten eine leichte Beute. Vor ihnen liegt ein wochenlanger Kampf gegen Fressfeinde, Meeresströmungen und Wetter, der noch einmal die Hälfte der kleinen Meeresbewohner fordert. Nach etwa 20 Jahren ist eine Meeresschildkröte alt genug, um sich selbst fortzupflanzen. Weniger als 10% der Schildkröten, die einst den Strand verlassen haben, sind nun noch am Leben. Keine sehr verlockende Statistik, aber doch haben diese Tiere es geschafft, mehr als 100 Millionen Jahre zu überleben.

Doch dann kamen wir. Nicht nur ist unsere eigene Spezies ein Meister darin, das Meer zu verschmutzen: Wir hinterlassen Fischnetze, Plastikmüll, Ölteppiche und eine Vielzahl von Chemikalien, so dass heute von 1000 abgelegten Eiern nur 2 Schildkröten die Chance bekommen, sich fortzupflanzen. Zwei!

Beleuchtete Hotels wie dieses bringen erwachsene wie frischgeschlüpfte Schildkröten dazu, nicht zum Meer, sondern ins Inland zu wandern. Foto mit freundlicher Genehmigung von Sea Turtle Conservation

Diese zwei erreichen nun einen Strand, der für die Eiablage geeignet ist und legen ihre Eier ab. Nach ein bis zwei Monaten schlüpfen die jungen Schildkröten und beginnen ihren gefährlichen Weg ins Meer. Und nun beginnt ein weiteres Problem mit der menschlichen Zivilisation. Genau, die Sache mit der Außenbeleuchtung. Schildkröte finden ihren Weg zurück zum Meer mit Hilfe des Mondlichtes, das von der Meeresoberfläche reflektiert wird. Daher ist der Ozean in einem natürlichen Umfeld immer der hellste Punkt am Horizont. Nicht so an einem modernen Strand. Die Außenbeleuchtung von Restaurants, Boulevards und Privathäusern zieht die Meeresschildkröten unwiderstehlich an. Erwachsene wie Jungtiere irren über Land. Allein in Florida verirren sich schätzungsweise 100.000 Schlüpflinge pro Jahr. Einige von ihnen werden aus Pools oder Gärten gerettet, doch viele mehr werden gefressen, überfahren oder sterben qualvoll an Erschöpfung.

Ein neues Hindernis also für eine Tiergruppe, deren Überleben schon fast an ein Wunder grenzt. Ein Hindernis, das zum Aussterben dieser wundervollen Tiere führen könnte. Dabei ist es einfach, Licht so einzusetzen, dass es Meeresschildkröten nicht schadet. Grundsätzlich sollte Licht nur dorthin scheinen, wo es gebraucht wird, also auf den Boden eines Weges oder auf die Veranda. Eine großzügige Beleuchtung des Gartens oder angrenzenden Strandes kann hingegen zur Todesfalle werden. Dies lässt sich mit einer durchdachten Ausrichtung von Lampen, die nach oben oder zur Seite abgeschirmten sind, leicht erreichen. Insbesondere Wegbeleuchtung sollte tief angebracht werden und nach unten zeigen. Ein anderer Faktor ist die Lichtfarbe: Meeresschildkröten reagieren nicht auf langwelliges Licht. Oranges oder rotes Licht, beispielsweise von Amber-LEDs, erzeugen eine warme Atmosphäre ohne die Schildkröten zu irritieren.

Die  Sea Turtle Conservancy unterstützt verschiedene Gemeinden in Florida bei der Umrüstung auf schildkrötenfreundliche Beleuchtung. Dabei  konnte die Stromrechnung einiger Gemeinden um bis zu 70% reduziert werden, und die Anwohner freuen sich über das angenehme Licht. Die folgende Diashow zeigt Beispiele für Gebäude, deren Beleuchtung auf Amber-LEDs umgerüstet wurde. Die Fotos wurden freundlicherweise von Sea Turtle Conservancy zur Verfügung gestellt. Auf deren Seite Beachfront Lighting Programme gibt es viele weitere Informationen und Bilder zu schildkrötenfreundlicher Beleuchtung.

Zwar leben bei uns keine Meeresschildkröten, doch die Beleuchtungstipps können auch im eigenen Garten nützlich sein. Denn schildkrötenfreundliche Beleuchtung zieht auch weniger Insekten an. weniger Stechmücken also und weniger Nachtfalter, die an Lampen verenden statt Obstbäume zu befruchten. Orange-rotes Licht hat auch keinen Einfluss auf unseren biologischen Rhythmus, wir können also getrost einen Abend unter Amber-LEDs verbringen, ohne uns später schlaflos im Bett zu wälzen. Abgeschirmtes Licht ist auch angenehmer für den Nachbarn, denn nicht jeder freut sich darüber, wenn die Hausbeleuchtung von nebenan durch die Fenster dringt.

Ebenfalls Einsatz für Meeresschildkröten und andere Wildtiere zeigt die australische Firma Pendoley Environmental. Sie unterstützt Firmen unter anderem dabei, ihre Lichtemissionen zu analysiere nund so den schädlichen Einfluss von Industrieanlagen, die nicht selten in der Nähe von Umweltschutzgebieten sind, zu minimieren – und gleichzeitig Geld zu sparen, denn Lichtverschmutzung bedeutet fast immer das Potential zum Strom- und damit Geldsparen.

Falls Sie selbst einmal Meeresschildkröten erleben möchten, so bieten viele Organisationen Führungen während der Eiablage oder zum Schlupf. Nicht selten übernehmen die Gäste dann die Aufgabe, die frischgeschlüpften Jungtiere vorbei an Krabben, Möwen und störender Beleuchtung sicher zum Wasser zu geleiten. Sollten Sie bei einem solchen Urlaub in einem Hotel wohnen, das keine schildkrötenfreundliche Beleuchtung hat, sprechen Sie die Hotelleitung darauf an. Trotz viel Aufklärungsarbeit gibt es leider immer noch Hotels, die glauben, je heller das Licht leuchtet, desto besser.

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