Das Seelabor im Stechlinsee: Forschung über Seeökologie und Himmelsleuchten
Fünf Uhr morgens. Der Stechlinsee ist dunkel und still. Nur an der Alten Fischerhütte huschen einige Lichter herum. Die Forscher vom Seelabor bereiten sich auf ihre Morgenschicht vor.
Wir steigen in die Boote, schalten die Stirnlampen ab und fahren hinaus auf den See. Jetzt erkenne ich das schwache Leuchten des Seelabors. Wir legen an den Pontons an, steigen aus und schreiten zur Tat. Große Plastikbehälter und Glasflaschen werden verteilt, Schläuche und Netze in Position gebracht. Zeit, mit der Probennahme zu beginnen.
Ich beobachte, wie Matthias einen sieben Meter langen Schlauch in einen den 24 Versuchszylinder absenkt. Vorsichtig zieht er das untere Ende wieder nach oben. Jason sammelt das darin enthaltene Wasser in einem der großen Plastikbehälter. Chris füllt zwei kleine Flaschen. Dann filtern sie gemeinsam Plankton in eine weitere Flasche. Später, im Labor im Institutsgebäude, wird bestimmt werden, welche Planktonarten in den frühen Morgenstunden in den oberen Wasserschichten unterwegs waren.
Das Seelabor ist eine riesige Forschungsplattform des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, zum größten Teil finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Hier wird untersucht, welche physikalischen, chemischen und biologischen Veränderungen der Klimawandel in aquatischen Ökosystemen auslöst. Die Versuchszylinder sind lange Plastikschläuche mit einem Durchmesser von jeweils neun Metern. Ihre Wände reichen bis zu 20 Meter tief auf den Grund des Sees und trennen so das Wasser im Versuchszylinder vom See. Jeder Zylinder enthält 1.250m3 Wasser – ein gigantisches Reagenzglas in einem beeindruckenden Feldlabor.
Jeder Versuchszylinder enthält ein kontrolliertes Stück See, inklusive Fische. Einer von ihnen beobachtet uns am Nachmittag als Chris Kyba, ein kanadischer Physiker vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam, uns zeigt, wie die Proben genommen werden, und was alles schiefgehen kann, wenn man mit einem neun Meter langen Schlauch hantiert. Uns, das bin ich und Sara Pritchard, eine Umwelthistorikerin von der Cornell University in den USA. Sie ist zu Besuch im Seelabor um herauszufinden, wie Lichtverschmutzung erforscht wird.
In diesem Sommer sind die Forscher im Seelabor besonders daran interessiert, wie Veränderungen im natürlichen Hell-Dunkel-Wechsel, insbesondere künstliches Licht bei Nacht, die Seen beeinflusst. Vergleichbar mit menschlichen Städten finden sich auch in Seen tägliche Pendlerströme. Zooplankton lebt tagsüber in den tieferen Schichten. Nachts steigen es in die oberen Schichten auf, um im Schutz der Dunkelheit die Algen abzufressen, die dort während des Tages durch Photosynthese gewachsen sind. Doch im Anthropozän beeinflussen vor allem zwei Faktoren diese Pendelbewegung: Moore et al. (2000) konnten zeigen, dass künstliches Licht die Dunkelheit überstrahlt und so verhindert, dass das Zooplankton aufsteigt, was zu vermehrtem Algenwachstum an der Oberfläche führt. Der gegenteilige Effekt, also eine Verdunklung des Gewässers, kann durch Humine entstehen, Substanzen, die von außen in den See einbracht werden, beispielsweise durch eine Übersäuerung der Böden oder durch vermehrte Regenfälle, wie sie im Rahmen des Klimawandels erwartet werden.
Wie stark diese Auswirkungen auf das Ökosystem See sind ist das Thema des ILES Projektes, kurz für Illuminating Lake Ecosystems (Seeökosysteme erleuchten). Insgesamt 70 Wissenschaftler aus aller Welt, Biologen, Physiker, Mathematiker, Ingenieure, arbeiten hier gemeinsam. Jeder ist abhängig von der Arbeit des Teams, und so packt jeder auch bei anderen Projekten mit an.
Bei Nacht sind die Versuchszylinder schwach beleuchtet. Ich beobachte, wie routiniert die Wissenschaftler in der Dunkelheit die Proben nehmen. Die Atmosphäre auf der Plattform ist entspannt, freundlich. Gespräche werden leise geführt, wenn überhaupt. Alles ist gut einstudiert. Rote Lichtstrahlen aus aus den Stirnlampe wandern umher, gelegentlich blitzt ein Reflektorstreifen an einer Jacke rot auf. Es ist eine andere Welt hier draußen, so früh am Morgen auf dem See.
Langsam wird es heller, doch die Pontonstege sind rutschig vom steten Nieselregen. Um die Wege sicherer zu machen haben wir gestern noch den Vogelkot entfernt. Möwen schätzen die Forschungsplattform als Ruheplatz und inzwischen haben auch die Enten entdeckt, dass sie hier sicher vor Füchsen schlafen können. Die Vögel sind ungeliebte Gäste. Nicht nur wird der Vogelkot zur Stolperfalle für Forscher, er kann auch die Experimente stören.
Der Stechlinsee ist nährstoffarm, einer der Gründe, warum das Wasser so klar und der See so interessant für Ökologen ist. Deshalb ist es wichtig, den Nährstoffgehalt in den Versuchszylindern zu kontrollieren. Vogelkot ist sehr nährstoffreich, wäre also eine gute – und unerwünschte – Nahrung für die Algen im Seelabor.
Das Ponton-von-Vogelkot-Reinigen ist einer der vielen kleinen, aber unentbehrlichen Jobs im Seelabor, und er ist nicht nur Aufgabe der Studenten. Nachdem ich selber eine ordentliche Portion Vogelkot in den See schießen durfte, übergebe ich den Hochdruckreiniger an Sara. Chris macht einen Witz darüber, wie viele Doktortitel man benötigt, um als Vogelkot-Reiniger qualifiziert zu sein. Eins wird mal wieder deutlich: nicht alle wissenschaftliche Arbeit findet in sauberen, warmen Laboren statt.
Der morgendliche Regen hat aufgehört und die Sonne scheint, als wir am späten Vormittag des zweiten Tages zur nächsten Probennahme hinausfahren. Neben der Bootsanlegestelle hängen an langen Schnüren die kleinen Flaschen, die wir am Morgen befüllt haben. Hier betreiben Algen bis zum Nachmittag Photosynthese, die dann im Labor gemessen wird.
Ich schaue bei einer weitere Planktonentnahme zu, als mir eine andere Gruppe auffällt: das Kamerateam. Sie lassen eine große Videosonde langsam in einen Versuchszylinder hinab, mit der Fotos von all den kleinen Wasserbewohnern gemacht werden. Auf dem Monitor erscheinen kleine Punkte, gelegentlich zeigt sich ein Wasserfloh oder ein anderes skurriles Wesen. Dies ist das Zooplankton, dass die Algen abweidet und damit ganz unten in der Nahrungskette steht. Auch in unserer, denn Zooplankton dient den Fischen im See als Nahrung. Später im Labor wird ein Computerprogramm eine Zählung aller in den Versuchszylindern vorhandenen Arten durchführen.
Die Probenentnahme im ILES-Projekt läuft noch bis Ende September. Dann wird es weitere 2-3 Jahre dauern, bis alle Proben ausgewertet und alle Ergebnisse veröffentlicht sind. Die Wissenschaftler erhoffen sich neue Erkenntnisse darüber, wie Lichtverschmutzung aquatische Ökosysteme beeinflusst um Ansätze zu entwickeln, wie der Einfluss von künstlicher Beleuchtung bei Nacht auf diese wichtigen Teile unserer Welt reduziert werden könnte. Und im nächsten Jahr wird ein anderes Projekt am ILES stattfinden um besser zu verstehen, wie sich Seen unter Umweltstress verhalten.
Zum Weiterlesen:
Die Website des Seelabors: www.seelabor.de/index.php/willkommen-beim-seelabor.html
Hier ein kurzer Dokufilm über die Plattform: www.seelabor.de/index.php/konzept.html
Die Homepage von ILES: www.seelabor.de/index.php/iles.html
Moore, M., Pierce, S., Walsh, H., Kvalvik, S., and Lim, J. (2000). Urban light pollution alters the diel vertical migration of Daphnia. Internationale Vereinigung fur Theoretische und Angewandte Limnologie Verhandlungen 27, 779–782. doi:10.1002/9780470694961.ch1