Wie die Motte zum Licht
In den letzten Tagen erregte eine Studie Aufsehen, die einen massiven Rückgang der Insekten in Deutschland beschreibt. Mehr als 75% der Insekten-Biomasse, so fanden die Wissenschaftler, ging in den letzten 27 Jahren verloren. Das ist deutlich höher als der geschätzte weltweite Verlust von 58% der Wirbeltiere. Dieser Verlust ist unabhängig vom Lebensraum und lässt sich auch nicht mit Veränderungen in Wetter, Landnutzung oder den Eigenschaften des Lebensraums erklären.
Manch einer mag sich nun erstmal freuen. Weniger Insekten, d.h. weniger Stechmücken, weniger Fliegen und weniger andere krabbelnde Schädlinge. Doch auch wenn uns manche Insekten unsympathisch sind, so erfüllen sie eine wichtige Rolle im Ökosystem. Sie sind unverzichtbar beim Abbau biologischen „Abfalls“ wie Tierleichen oder Biomüll, halten den Pflanzenwuchs im Zaum und dienen vielen Säugetieren, Vögeln und Amphibien als Nahrungsquelle. Insekten spielen die Hauptrolle bei der Bestäubung von Pflanzen. Ohne sie sähe die Obstabteilung im Supermarkt recht leer aus, ganz zu schweigen vom Honigregal. Schätzungsweise 80% der Wildpflanzen benötigen Insekten als Bestäuber und etwa 60% der Vögel sind auf Insekten als Nahrungsquelle angewiesen. Die Ökosystemleistung der Insekten wird auf jährlich 57 Milliarden US $ geschätzt. Allein der geschätzte Wert für die Bestäubung liegt bei 361 Millionen US $.
Viele Gründe, sich um den Erhalt der Insekten Gedanken zu machen. Warum aber verschwinden sie? Es gibt eine Vielzahl von Ursachen. Vor allem der Verlust und die Zerstückelung des Lebensraums ist ein Problem, sowie der Klimawandel. Auch die intensive Landwirtschaft spielt eine große Rolle. Zum einen kommt es zu einer Verarmung der Pflanzenarten und damit zu einem Verlust an Nahrung und Lebensraum, zum anderen werden durch Pestizide viele Insekten direkt getötet. Leider finden viele Insektizide auch breite Verwendung in privaten Gärten.
Das künstliches Licht eine Rolle spielt, zeigen immer mehr Studien. Bei einem Experiment in der Schweiz wurde überprüft, wie oft Pflanzen von nächtlichen Bestäubern besucht wurden. Dabei ergab sich, dass die beleuchteten Pflanzen um 62% weniger besucht wurden als ihre Artgenossen im Dunklen. Dies resultierte in einem 13-prozentigen Rückgang der Früchte selbst auf den Pflanzen, die von Bestäubern besucht wurden. Dieser Rückgang in der Menge der produzierten Früchte könnte sich wiederum negativ auf die Tag-Insekten auswirken, so vermuten die Wissenschaftler.
Warum die Insekten Pflanzen im Licht weniger besuchen ist unklar, könnte aber mit dem sogenannten Staubsaugereffekt zusammenhängen. Dieser beschreibt, dass Insekten vom Licht einer Laterne angezogen werden wie von einem Staubsauger. Eine Untersuchung an Motten ergab, dass Tiere in einem Radius von ungefähr 23 Metern von einer Straßenlaterne angezogen werden. In Europa beträgt der Abstand zwischen Straßenlaternen in der Regel 25 bis 45 Meter. So wird eine erleuchtete Straße zur Barriere für Insekten.
Ist ein Insekt erstmal in den Bann einer Laterne geraten, gibt es verschiedene Möglichkeiten, was geschieht. Mitunter verbrennen die Insekten durch die Hitze der Lampe. Bei älteren Lampen finden aber auch viele Insekten den Weg ins Innere der Lampe, wo sie verhungern. Andere Insekten entkommen dem Licht nach einiger Zeit, sind dann aber geschwächt. Einige Insektenarten, so beispielsweise viele Schmetterlinge, leben nur wenige Tage in ihrer fortpflanzungsfähigen Adultform. Die Ablenkung durch eine Straßenlaterne kostet dann wertvolle Lebenszeit.
Doch es gibt auch einige Gewinner bei der nächtlichen Beleuchtung. Oft bauen Spinnen ihre Nester an Lampen. Einige Fledermausarten, so zum Beispiel der Große Abendsegler, jagen im Schein der Lampen. Kleiner und langsam fliegendere Fledermäuse wie die gefährdete Bechsteinfledermaus, meiden hingegen das Licht und müssen sich mit einem verringerten Nahrungsangebot zufrieden geben. Franz Hölker, Leiter des Forschungsverbunds Verlust der Nacht, geht davon aus, dass sich dadurch ganze Nahrungsnetze verschieben können.
Der Mainzer Biologe Gerhard Eisenbeis errechnete 2001, dass deutschlandweit innerhalb einer dreimonatigen Flugperiode 91,8 Milliarden Insekten getötet werden. Insekten, die an anderen Stellen als Bestäuber, Nahrung oder Akteur im ökologischen Stoffkreislauf fehlen.
Quellen:
Degen, T. et al., 2016. Street lighting: sex-independent impacts on moth movement. Journal of Animal Ecology, 85(5), pp.1352–1360. Available at: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2656.12540/abstract
Eisenbeis, G., 2001. Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere. Spektrum – Kompaktlexikon der Biologie, pp.1–6. Available at: http://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/lichtverschmutzung-und-ihre-fatalen-folgen-fuer-tiere/7024.
Hallmann, C.A. et al., 2017. More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. Plos One, 12(10), p.e0185809. Available at: http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0185809.
Knop, E. et al., 2017. Artificial light at night as a new threat to pollination. Nature. Available at: http://www.nature.com/doifinder/10.1038/nature23288.