Kontrollgewinn – Kontrollverlust: Hannah Ahlheim berichtet über Schlafforschung
Schlaf ist ein allgegenwärtiges Thema. Wie viel Schlaf brauchen wir, zu welcher Nachtzeit, in welcher Position? Ein Teil unserer Gesellschaft brüstet sich, nur wenige Stunden Schlaf zu brauchen, andere legen viel Wert auf einen gesunden Schlaf.
Gestern veröffentlichte die Techniker Kasse die Schlafstudie für 2017. Lediglich 24% der Deutschen, so die Studie, bekommen nicht die empfohlenen 6 Stunden Schlaf pro Nacht. Jeder dritte Deutsche schläft nicht gut. Schlaf ist ein Problem in der heutigen Gesellschaft.
Nur in der heutigen Gesellschaft? Hannah Ahlheim, Historikerin an der Humboldt-Universität Berlin, gab bei der 5. Berliner Nachtung einen Einblick in die Geschichte der Schlafforschung aus gesellschaftspolitischer Sicht.
Lange Zeit war Schlaf kein Thema. Erst Ende des 19. Jahrhunderts begann man sich Gedanken darüber zu machen, wie wir schlafen. Diese Frage stellten sich vor allem die Krankenkassen, denn die Schlafstädten waren oft Orte der Krankheitsübertragung. Die Frage nach der Qualität des Schlafes wurde jedoch weniger gestellt. Es herrschte die Meinung, Schlaf sei nur wichtig für „Kopfarbeiter“. Muskelarbeiter benötigten keinen Schlaf, ihnen würde ausreichende körperliche Ruhe reichen.
Zu dieser Zeit gab es deutliche Klassenunterschiede. Während reiche Bürger spezielle Schlafzimmer besaßen, teilten sich Arbeiterfamilien oft Ein-Raum-Wohnungen. Hannah Ahlheim zeigte das Foto einer solchen Familie, bei der sich die vier Kinder das Sofa als Schlafstätte teilten. Das diese Schlafsituation nicht gesundheitsförderlich ist wurde bereits damals erkannt und der Begriff „Schlafstellenunwesen“ kam auf.
Als Verbesserung wurden von einigen großen Konzernen für Alleinstehende „Schlafhäuser“ eingerichtet, in denen saubere Betten zur Verfügung gestellt wurden. Dieses Konzept hielt sich aber nicht lange, da die Arbeiter nun auch ihr freie Zeit mit Kollegen und Vorarbeitern verbringen mussten.
Im Laufe des 1. Weltkriegs wurde deutlich, dass auch die Qualität des Schlafes eine Rolle spielte. Viele Soldaten kehrten mit psychischen Traumata von den Schlachtfeldern zurück. Schlaf, so stellte sich heraus, half, diese Männer zu heilen.
Doch erst in den 1920ern begann die eigentlich Schlafforschung. Ein Matratzenhersteller fotografierte schlafende Probanden und machte eine damals bahnbrechende Entdeckung: Wir bewegen uns im Schlaf. Bis dahin hatte man geglaubt, gesunder Schlaf sei bewegungslos.
Hintergrund dieser Studien waren wirtschaftliche Interessen. Schlaf sollte möglichst effizient sein, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Es wurden Schlafempfehlungen erstellt: wer sich pro Nacht 42 Mal bewegte, war gesund, andere Werte deuteten auf Erkrankungen hin.
Einen weiteren Schritt machte die berühmte Mammoth Cave Study von Nathaniel Kleitman. Durch Fernhalten äußerer Einflüsse gelang es ihm und seinem Assistenten, ihren Tag auf 28 Stunden auszudehnen. Die individuelle Tageslänge sei daher veränderbar, erklärten sie, eine Ansicht, die von der US Navy mit einen neuen Schichtplan ausprobiert wurde. Dieser scheiterte jedoch an den Matrosen, die wenig Verständnis für die neuen Ideen hatten.
Kleitman war es auch, der 1953 durch Zufall den REM-Schlaf entdeckte.
Das Interesse am Schlaf stieg, auch im künstlerischen Bereich. War Schlaf bisher eine rein private Sache gewesen, zeigten Kunstinstallationen nun Schlafende in verschiedenen Stellungen, allein, mit Partner oder Kindern.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich auch die wissenschaftliche Schlafforschung, die mit Elektroden versuchte, in die Köpfe der Menschen zu schauen. Und noch immer existiert der Gedanke, Schlaf effizienter zu machen. Heute gibt es Apps für’s Smart Phone, die mithilfe von Sensoren den Schlaf überwachen, und dem Träger sagen, wie gut er/sie geschlafen habe.
Ein zweischneidiges Schwert, wie sich in der nachfolgenden Diskussion ergab. Denn heute wird der Schläfer stark in die Verantwortung genommen, effizient und gesund zu schlafen, damit er funktioniert. Schlaf wird in Normen gepresst, in Zahlen gefasst und statt den Patienten zu fragen, wie er geschlafen hat, betrachtet der Arzt nur noch Messwerte.
Die Erforschung des Schlafes, so Hannah Ahlheim, war von Beginn motiviert durch die Frage der Effektivität. Viele Schlafstudien werden von den Militärs finanziert, um Soldaten leistungsfähiger zu machen oder die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu testen. Unsere Aufgabe, zumindest als Individuum sollte es sein, die bisherigen Ergebnisse zu nutzen, um unseren eigenen Schlaf angenehm und erholsam zu gestalten.
Wer mehr über das Thema lesen will, dem sei das Buch Kontrollgewinn – Kontrollverlust: Die Geschichte des Schlafs in der Moderne empfohlen, dass Hannah Ahlheim herausgegeben hat. Für Mai 2018 ist das Erscheinen ihres Buches „Der Traum vom Schlaf“ geplant.